Vorhof der Hölle – Teil 2
Die Reise, die eigentlich nur einen Tag dauern sollte, verlief – wie bereits in Teil 1 beschrieben – nicht nach Plan.
Aus einem Tag wurden schließlich zwei, und jeder davon war so ereignisreich, dass er für sich allein ein Kapitel wert ist.
Nach der Übernachtung bei der Station des Nationalparks begann der Tag mit dem obligaten Spaziergang mit unseren Hunden. Wie so oft führten uns die beiden ganz ungewollt an Orte und zu Erlebnissen, die wir ohne sie wohl nie entdeckt hätten.
Unser vermeintlich unspektakulärer Nachtplatz entpuppte sich bei Tageslicht als wahres Paradies – eine Landschaft aus glänzenden Wasserflächen, dichten Schilfinseln, einem Konzert aus Vogelstimmen und dem weichen Glitzern der Morgensonne im Tau.
Während wir uns an diesem friedlichen Bild erfreuten, bekam Astrid plötzlich einen Schreck. Ein Tier überquerte gemächlich die sandige Piste vor ihr. Zuerst dachte sie an eine große Echse – doch das Wesen bewegte sich anders, schwerer, mit einem wippenden Schwanz.
Erst später, anhand der Fotos, die uns der Chef des Nationalparks zeigte, kam die Gewissheit: Es war kein Leguan, sondern ein etwa einen Meter langes Krokodil, das direkt vor ihr über die Straße gelaufen war. Dies war ein Moment, der ihr wohl für immer im Gedächtnis bleiben wird – intensiv, unerwartet und unvergesslich.
Leider wie so oft: Genau in solchen Augenblicken liegt die Kamera irgendwo sicher verstaut im Camper. Aber das ist vielleicht gut so. Denn die intensivsten Momente sind nicht die, die wir festhalten, sondern die, die sich festhalten – in uns.
Nach einem ausgiebigen Spaziergang starteten wir die Motoren, um die letzten Kilometer bis zur Grenze unter die Räder zu nehmen.
Wie schon vermutet, sind die letzten Kilometer vor einem Grenzübergang fast immer die schlechtesten – und auch hier machte die Piste keine Ausnahme. Doch die Landschaft blieb überwältigend schön: Akazienbüsche, dazwischen sandige Passagen mit hellem Grün und der flimmernde Schimmer des Flusses in der Ferne.
Immer wieder tauchten Warzenschweine auf, zogen mit erhobenem Schwanz in die Büsche, Reiher kreisten am Himmel, und als wir den Nationalpark hinter uns ließen, empfing uns ein kleines, staubiges Dorf. Kinder rannten uns lachend entgegen, winkten mit beiden Händen und riefen das wohl bekannteste Wort Westafrikas: „Cadeaux!“ Dieses Wort scheint hier zum ersten Atemzug zu gehören – jedes Kind kennt es, auch wenn es noch kein Französisch spricht.
Manche glauben mir nicht, wenn ich sage, dass ich dieses Lächeln der Kinder vermissen werde, wenn wir Afrika eines Tages verlassen.
Doch ich weiß, dass sich ihre Gesichter tief in unser Herz eingebrannt haben – mit dieser unbeschwerten Freude, die nichts verlangt und doch alles schenkt. In unseren Träumen werden sie uns wieder begegnen.
Schließlich erreichten wir die mauretanische Grenze.
Drei europäische Fahrzeuge standen bereits dort und warteten, ebenso wie wir, auf die Ausreise. Wir stellten uns in die Reihe, direkt vor ein kleines, fensterloses Büro, in dem schon lebhafte Diskussionen im Gange waren. Der Chef der Douane verlangte von jedem Fahrer 10 Euro für den Ausreisestempel. Das war nun wohl jener Moment, den man in Reiseforen als Vorhof der Hölle bezeichnet – der Versuch, ein bisschen „Extragehalt“ zu erwirtschaften. Doch die drei Europäer blieben standhaft und weigerten sich, zu zahlen – und ich bewunderte ihre Ruhe.
Wir sind grundsätzlich nicht gegen kleine Geschenke, aber Korruption wollen wir nicht unterstützen – schon gar nicht bei Beamten, die ein festes Einkommen haben und in einem Land arbeiten, in dem Armut und Würde oft so eng beieinander liegen.
Nach langem Hin und Her lenkte der Zöllner schließlich ein und stempelte alle Ausreisepapiere ohne „Zusatztarif“. Dann waren wir an der Reihe. Er empfing uns freundlich, aber neugierig – fragte, ob wir eine Gruppe seien oder ob ich etwa zwei Frauen hätte. Ich erklärte ihm lachend, dass in der Schweiz zwei Frauen gleichzeitig nicht erlaubt seien – woraufhin er sich sofort charmant Astrid zuwandte.
Er lobte ihren Namen, schwärmte von ihrer Schönheit und erzählte, wie sehr er „solche Frauen“ liebe. Er wollte sie sogar Heiraten und ihr ein guter Mann sein.
Wir lächelten, amüsiert, aber freundlich.
Als er schließlich eine Kopie von Astrids Pass machen wollte, geriet er völlig aus dem Konzept:
Der Kopierer begann zu surren – und hörte nicht mehr auf.
Ein Blatt nach dem anderen kam heraus, identisch, zehnmal dasselbe Gesicht, derselbe Name. Verlegen zog er die Papiere heraus, während wir uns das Lachen nicht verkneifen konnten. Der ganze Raum lachte mit, und ich sagte ihm schließlich, dass Lachen im Leben etwas Gutes sei – und dass es uns allen besser gehe, wenn wir öfter lachen.
Zu Geld kam der arme Douanier an diesem Tag jedenfalls nicht, aber dafür hatte er etwas, das hier seltener ist: ehrliches Lachen.
Danach ging es weiter zur Polizei, wo unsere Ausreise formal dokumentiert wurde.
Das zuvor ausgestellte Visum wurde ordnungsgemäß abgestempelt – ohne jegliche Geldforderung. Am Ende verlangte man noch eine kleine Parkgebühr, da wir auf dem Zollgelände standen. Der Betrag war so gering, dass sich jede Diskussion darüber erübrigte.
Wir sagten Adieu, Mauretanien, und fuhren über den Damm Richtung Senegal – rund zweihundert Meter über eine Schleuse, vorbei an ein paar neugierigen Vögeln, die auf den Geländern saßen.
Hier wurde eine kleine Brückenmaut verlangt, wie in allen Reiseberichten beschrieben, diesmal mit ordentlicher Quittung.
Auf senegalesischer Seite lief alles geordnet ab. Der Zollbeamte wollte sämtliche Papiere sehen: Pass, Fahrzeugausweis, Carnet de Passage – und sogar den Fahrausweis, den wir der Polizei überreichten. Doch alles verlief ruhig und korrekt. Nur unsere Fingerabdrücke mussten wir elektronisch hinterlassen – Routine, die uns inzwischen fast vertraut ist.
Beim Zoll traf ich dann auf ein vertrautes Gesicht: den Chefzöllner, den ich bereits von meinem letzten Besuch kannte. Er erkannte mich sofort, lachte, kam auf mich zu und umarmte mich herzlich. In diesem Moment wusste ich – alles ist gut. Hier wird es keine Schwierigkeiten mehr geben.
Der Grenzposten Diama hat jedoch eine Eigenart: Das Carnet de Passage darf dort nicht abgestempelt werden. Früher, so erzählte man uns, hätten zu viele Reisende ihre Fahrzeuge im Senegal verkauft, ohne die Zollformalitäten einzuhalten. Darum muss man innerhalb von 48 Stunden nach Dakar fahren, um das Carnet beim Hauptzollamt abstempeln zu lassen.
Was soll’s – Diskussionen helfen nicht. Wir trösteten uns damit, dass es bei uns ohnehin vier Tage dauern würde, da der Zoll in Dakar am Wochenende geschlossen ist. In der Zebrabar, unserem nächsten Ziel, gab es glücklicherweise eine Lösung: Martin, der Chef, erklärte sich bereit, den Stempel in Dakar für uns zu besorgen.
Und so endete unsere Reise in den „Vorhof der Hölle“ nach zwei intensiven Tagen –
mit Staub an den Rädern, Sonne im Gesicht, einem wohlverdienten eiskalten Bier in der Hand und einem Lächeln, das bleibt.