Abschied von der Elfenbeinküste
Am Samstag ging es für uns über die Grenze von der Elfenbeinküste nach Ghana – natürlich mit den kleinen und großen Erlebnissen, die wohl jede afrikanische Grenze mit sich bringt. Die Elfenbeinküste wollte uns nicht einfach ziehen lassen, ohne dass sie unsere Fingerabdrücke und Fotos noch ein letztes Mal von uns verlangten. Auch wurde wohl über unsere Autonummer geprüft, ob wir vielleicht irgendwo von einer Blitzerkamera erfasst wurden. Aber unsere Weste war anscheinend rein, und so konnten wir nach recht kurzer Zeit – ca. 30 Minuten – weiter zur ghanaischen Seite rollen.
Ghana: Der "Musterknabe" lässt auf sich warten
Eigentlich hatten wir erwartet, dass Ghana sehr modern ausgerüstet sei. In vielen Reiseberichten wird das Land ja als der fortschrittliche "Musterknabe" Westafrikas gelobt. Aber dieser spezielle Grenzübergang hatte wohl den Anschluss an die neuesten Errungenschaften verpasst. Modern war hier nichts – einzig das Personal war im Überfluss vorhanden.
Das Prozedere war klassisch: Als Erstes zur Polizei (Immigration), die Reisepässe abgeben. Dann, ohne Pässe, weiter zum Zoll, der unser *Carnet de Passage* abstempeln musste. Immerhin: Der Zöllner verstand sein Handwerk. Er drückte den Stempel ins Carnet und trennte den untersten Abschnitt so sorgfältig ab, dass wir das Dokument im Nu zurückhatten.
Dann hieß es: Zurück zur Polizei. Dort saßen sicher acht Personen, die unsere Pässe einander zureichten, als wären es seltene Exponate. Jeder wollte all unsere Stempel und Visa sehen, die mittlerweile ja schon sehr stattlich vorhanden sind. Auch unsere ausgedruckten Visa für Togo und Benin wurden genauestens inspiziert.
Das große Buch und das Rätsel "Trachselwald"
Jetzt folgte der analoge Wahnsinn: Unsere Daten mussten – wie anno dazumal – handschriftlich in ein riesiges Buch eingetragen werden. Arbeitsteilung auf Ghanaisch: Eine Polizistin schreibt, eine andere buchstabiert und kontrolliert, was die erste schreibt.
Plötzlich Stille. Tuscheln. Ratlose Blicke.
Sie diskutierten sehr lange miteinander, weil sie keinen **Geburtsort** in unserem Schweizer Pass finden konnten. Das ist auf einer Seite verständlich, da die Schweizer wohl die einzigen Passinhaber der Welt sind, bei denen nicht der Geburtsort, sondern der **Heimatort** eingetragen ist.
Die zwei armen Damen wussten nun nicht, was sie in die Spalte "Place of Birth" schreiben sollten. Nach einer gewissen Zeit fassten sie allen Mut zusammen und fragten mich direkt, wo ich geboren sei.
Da wir dieses Spielchen ja kennen, habe ich ohne zu Zögern gesagt: "In Trachselwald". Stimmt das? Eigentlich nicht. Aber Diskussionen gehe ich an Grenzen lieber aus dem Weg. Wenn sie glücklich sind, weil sie "Trachselwald" im Pass finden, bin ich es auch.
Kopier-Orgien und die Suche nach der Tinte
Damit war es nicht getan. Wir mussten mit einem Polizisten das Gebäude verlassen, um etwa 30 Meter weiter in eine andere Baracke zu gehen, wo ein einsamer Fotokopierer stand. Nun wurden unsere Pässe minutiös kopiert. Da Papier hier wohl Mangelware ist, tat es mir fast weh zu sehen, wie sie krampfhaft versuchten, alles auf dasselbe Blatt zu bekommen. Die Pässe wurden auf die Vorder- und Rückseite sowie links und rechts auf das eine Blatt kopiert. Dass es wohl einfacher gewesen wäre, man hätte zwei Pässe gleichzeitig auf das Glas gelegt? Diese Möglichkeit hat der Polizeibeamte gar nicht erst in Betracht gezogen.
Nach dieser viertelstündigen Prozedur ging es wieder in das obere Büro. Jetzt sollte gestempelt werden. Doch wir sind in Afrika – irgendwas fehlt immer. Diesmal fehlte die Tinte im Stempelkissen. Der erste Versuch, einen Einreisestempel zu setzen, scheiterte kläglich. Man konnte kaum etwas lesen. Versuch Nummer 2 und 3 lieferten dasselbe blasse Bild. Nun musste ein neuer Stempel gesucht werden, der wohl noch einen Tropfen Tinte in sich trug. Jüngere Polizisten wurden losgeschickt wie Laufburschen. Der erste kam nach etwa 15 Minuten zurück – ohne Erfolg. Der zweite, 10 Minuten später, hatte zum Glück Tinte gefunden. So konnte nun endlich gestempelt werden. Aber was ist mit meinem ersten, unleserlichen Stempel im Pass? Ganz einfach: Er wurde handschriftlich für ungültig erklärt. Der zweite Stempel bekam eine Unterschrift, dass dieser nun der Gültige sei. Wir hoffen inständig, dass das bei der Ausreise so akzeptiert wird und wir nicht als Urkundenfälscher gelten. Endlich, nach über zwei Stunden, ging es doch weiter – über eine schlechte, löchrige Straße hinein nach Ghana.
Samstag ist Party-Tag?
Es ist Samstag. Als wir in die erste größere Ortschaft einfuhren, haben wir nicht schlecht gestaunt: Laute Musik dröhnte aus riesigen Boxen, und auf einem großen Platz sahen wir ein Festzelt. Nach unserer Meinung war hier wohl ein Dorffest im Gange. Da wir jedoch noch Strecke machen wollten, entschieden wir uns, nicht anzuhalten.
Doch so ging es weiter. Beim nächsten größeren Ort: Dasselbe Bild, wieder laute Musik, wieder Menschenmengen.
Jetzt konnte ich es mir nicht mehr verkneifen. Wir hielten an, um uns dieses Treiben mal näher anzuschauen.
Was wir sahen, war faszinierend und verwirrend zugleich. Laute, fröhliche Musik und Menschen, die auf einer Fläche von ca. 20 mal 20 Metern im Kreis gingen, tanzten und den Zuschauern zugewunken haben. Warum macht man das? Und warum so laut?
Dazu muss man erwähnen: Diese Gruppe in der Mitte war komplett identisch angezogen – gleiche Stoffe, gleiche Muster. Als wir am Rand standen, wurden wir sofort entdeckt. Man bat uns freundlich, uns zu setzen, und organisierte extra Stühle für uns "Obronis" (Weiße).
Wir saßen da, wippten zur Musik, winkten zurück – und hatten leider keine Ahnung, was hier überhaupt geschieht.
Die Auflösung: Celebration of Life
Erst später, als wir wieder Internetanschluss hatten, löste sich das Rätsel dank Recherche: Wir waren Gäste einer Beerdigung gewesen!
Was für uns Europäer völlig absurd klingt, da wir Beerdigungen mit Stille, Trauer und schwarzer Kleidung auf dem Friedhof verbinden, ist in Ghana völlig anders. Hier zelebriert man den Tod als Teil des Lebens.
Wir haben gelernt:
1. Samstag ist Beerdigungstag:
Wer samstags durch Ghana fährt, kommt an den "Funerals" nicht vorbei. Freitag ist die Aufbahrung, Sonntag der Gottesdienst, aber Samstag ist die Party.
2. Die Uniformen (Family Cloth):
Das, was wir gesehen haben, nennt man "Ashiebwo". Wenn jemand stirbt, wählt die Familie einen Stoff aus, und alle lassen sich daraus Kleider schneidern. Das zeigt Solidarität.
Schwarz/Weiß:
Das haben wir wohl gesehen. Es wird getragen, wenn jemand sehr alt geworden ist. Dann ist es eine "Celebration of Life" – man feiert das lange Leben.
3. Party statt Trübsal:
Je mehr Gäste, je lauter die Musik, desto "wichtiger" war die Person. Manchmal kosten diese Beerdigungen mehr als eine Hochzeit.
Es passt zu Ghana, dass man den Übergang zu den Ahnen nicht leise, sondern mit Paukenschlägen begeht. Wir haben sogar gelesen, dass es hier Tradition ist, Särge zu bauen, die den Beruf des Verstorbenen zeigen – als Fisch, als Cola-Flasche oder als Auto. Diese "Fantasy Coffins" haben wir zwar noch nicht gesehen, aber wer weiß, was noch kommt.
Fazit
Ja, es war Samstag und wieder haben wir ein Erlebnis mitnehmen können, das wir wohl nie mehr vergessen werden. Gerade solche spontanen Stopps sind es, die uns so nahe an die Menschen und ihre Kultur bringen und die das Reisen spannend machen. Nicht die "Highlights", die im Reiseführer stehen, oder Gebäude, die zum Weltkulturerbe gehören. Nein, es sind die Menschen, die uns immer wieder zum Staunen bringen – selbst (oder gerade) wenn sie ihre Toten feiern, als gäbe es kein Morgen.