Menschen wie du und ich
Vor Schwarzafrika musst du dich fürchten, denn Schwarzafrika ist gefährlich! In Schwarzafrika musst du immer auf der Hut sein! Diese Vorurteile schwirren in fast jedem europäischen Kopf herum. Verständlicherweise ist für uns alles Fremde erst einmal gefährlich und daher Vorsicht geboten. Ich will hier nicht schreiben, dass es vielleicht auch die Hautfarbe ist, die diese Menschen als gefährlich erscheinen lässt. Dieses Vorurteil sollte längst widerlegt sein.
Orte, an denen viel Gewalt verzeichnet wird, sind meist Orte, an denen die soziale Ungleichheit besonders ausgeprägt ist, oder Orte, an denen die Drogenszene besonders tief in der Gesellschaft verwurzelt ist. Für uns Reisende ist klar, dass Kriminalität, wie wir sie verstehen, mit der Armut zunimmt. Genauso wie starker Drogenkonsum oder Drogenhandel die Kriminalität fördert. Das hat nichts mit Hautfarbe oder Herkunft zu tun.
Leider sind Menschen aus Schwarzafrika besonders von Armut betroffen. Für viele ist die Flucht in europäische Länder der einzige Ausweg. Einigen gelingt das, aber dann sind sie auch in Europa arm. Für viele ist der Drogenhandel die einzige Möglichkeit, an Geld zu kommen, da sie keine andere Arbeit finden. Vor diesem Hintergrund ist das Bild, das sie bei uns hinterlassen, nicht das Bild, das wir bei Reisen in schwarzafrikanische Länder vorfinden. Menschen, die in Familienstrukturen leben, müssen sich auch in dieser Gesellschaft bewähren. Wenn sie der Familie oder dem Clan schaden, werden sie getadelt oder direkt bestraft. So werden Kinder, die als Kinderstreich oder um sich als besonders mutig zu beweisen, uns Reisenden schaden wollen, sofort vom Familienclan getadelt oder bestraft. Auch wenn sie uns gegenüber zu aufdringlich werden, schreiten erwachsene Familienmitglieder ein und ermahnen sie.
Wir Europäer sollten auch verstehen, dass wir, wenn wir in ihre Gesellschaft aufgenommen werden, gezwungen sind zu teilen. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass unser Klappstuhl, sobald er frei ist, auch von einem Mitglied des Clans besetzt werden kann. Der setzt sich dann natürlich auf den Klappstuhl und macht es sich so bequem, als würde der Klappstuhl ihm gehören. Das ist in ihren Augen nicht frech, sondern selbstverständlich, denn in der Sippe oder Familie wird alles geteilt. Und wir wurden in diese Runde aufgenommen. Ich muss aber noch erwähnen, sobald wir sagen, wir möchten jetzt den Stuhl wieder besetzen, wird er sofort wieder frei gemacht, weil wir in der Hierarchie, so wie sie das verstehen, Vortritt haben.
Es ist besonders wichtig, dass diese Strukturen erhalten bleiben, denn sie verhindern, dass die Menschen egoistisch denken und damit uns und vielen anderen schaden. Das Denken und Verhalten würde sich schlagartig ändern. Wir sehen das zu Genüge bei den Menschen, die aus Armut nach Europa geflüchtet sind und somit auch die Familienstruktur fehlt. Dann geht es nur noch ums eigene Überleben.
An dem Tag, als wir in Guinea waren und die Nationalmannschaft von Guinea das Fußballspiel des Afrika Cups gewonnen hat, saßen wir, wie schon beschrieben, auf einem Platz mitten in der Stadt. Der Siegestaumel der Menschen war für uns unbeschreiblich. Wir wurden von dieser Siegesfeier total mitgerissen und aufgenommen. Trotz unserer weißen Hautfarbe gehörten wir dazu.
Mit einigem Erstaunen spürte ich plötzlich auch Ihren Mut und Ihr Selbstvertrauen, die das Fußballspiel ausgelöst hatte, dass sogar Frauen, die sonst eher zurückhaltend sind, mit Männern sprachen. So auch die junge Frau, die mit ihrem Kleinkind auf dem Rücken und mit einem Tuch umgeschnallt, wohl ihre Scheu verloren hatte und sich immer näher an mich, den Mann, heranwagte. Für mich als 66-jährigen Mann ist es nicht gerade alltäglich, dass mich eine jüngere Frau mit ihren Gesten einlädt, mit ihr und ihren Freundinnen zu feiern. Dass zu diesem Feiern nicht nur Singen, sondern auch ein Lächeln gehört, ist auch bei uns üblich. Und dieses Lächeln der jungen Frau war etwas ganz Besonderes! Ihr fehlten vorne die Zähne, was ihr Lächeln ganz besonders machte. Diese junge Frau, die ihre ganze Schüchternheit abgelegt hatte und mich von ganzem Herzen und zahnlos anlächelte, war für mich außergewöhnlich. Entweder hatte sie ihre Zähne durch äußere Einflüsse verloren, oder sie hatte zu viel Süssholz gekaut, was in dieser Gegend nicht unüblich ist. Eigentlich war es egal, warum sie ihre Zähne verloren hatte. Es war für mich ein beschämender Anblick, diese junge Frau hat sicher noch nie einen Zahnarzt gesehen, wahrscheinlich war sie auch sehr arm. Sie kann nichts dafür, dass sie in einer Gegend lebt, in die sich Zahnärzte nicht verirren.
Stellen wir uns eine 25-jährige Frau in der Schweiz vor, die keine Vorderzähne mehr hat! Jeder kann sich vorstellen, wie wir das in unserer Gesellschaft aufnehmen würden.
Diese junge Frau in Guinea, die trotz fehlender Zähne stolz in der Gesellschaft auftritt und Wärme ausstrahlt, ist bewundernswert. Sie kann nichts dafür, dass sie arm ist und in einer Gegend lebt, in der die medizinischen Möglichkeiten sehr begrenzt sind. Sie wurde einfach dort geboren und muss sich mit dieser Umgebung arrangieren. Ich habe es gespürt, sie stellt sich diesem Leben und wird wahrscheinlich all ihre Liebe ihrem Kind geben, das sie auf dem Rücken trägt. Wir können nur hoffen, dass sie weiterhin die familiäre Struktur findet, die ihr das Leben in Guinea ein wenig erleichtert. Ihr Lächeln, ihre Herzlichkeit und ihren Stolz hat sie jedenfalls noch nicht verloren.